letzte Kommentare: / "weil Design keinen... damals / Da sind wir uns... froschfilm / Ich dagegen glaube,... c. fabry | |
01
September
Der Beginn
Lässig schaffen wir das zum Zug. Sind ja noch 10 Minuten Zeit. 2 Minuten mit dem Bahnautomaten kämpfen und dann locker zum Gleis 3. Coccinella kommt mir schon entgegen, der Zug ist weg. Immer locker bleiben, sag ich. Demonstrativ den Coolen gegeben. Nehm ich halt den nächsten Zug. Der braucht zwar 2 Stunden länger und bei einer Verspätung wird's knapp mit dem Flug, aber das passiert MIR doch nicht. Wird schon klappen. Klappt dann auch. Mit teutonischer Präzision und ohne jeden Fehler erreiche ich Johnsons Manison in Kensington. Michelle macht mir auf, ruft ein "Nice to meet you" und verschwindet in ihrem Zimmer. Ich lege mich aufs Bett und blättere im Spiegel. So. Buhlmann ist also ein Schwachpunkt im Kabinett. Aha. Warum nicht einfach bei Michelle klopfen? Vielleicht ist das in England ja ok? Bestimmt ist sie Single und geil auf mich. Zu solchen Gedanken verderben mich Film und Literatur, nicht aber meine Realität. Bestimmt gibt's die Leute aber wirklich, die an der Bar stehen und sich dahinter einen wichsen. Oder eben solche Beziehungen wie in "l'auberge espagnol". Eigentlich ist die WG hier genauso: 1, jetzt 2 Deutsche, eine Polin, eine Südafrikanerin und 2 Neuseeländer. Ich denke im Grunde nur an Michelle und Sex, weil ich es nicht glauben kann. Deswegen wird mir sowas auch nie passieren. Meine Welt ist nicht so verdorben. Und ich bin stolz darauf!
Nach kurzer Zeit kitzelt mich die Sonne an der Nase wie in dem dummen Viertklässlerlied. Ich wundere mich, warum mir alles so klar ist. Es ist Montagmorgen, ich bin in London. Im winzigen Zimmer meines Bruders. Morgen beginnt mein Praktikum. Erstmal frühstücken. Nach einem holprigen Gepräch mit Anja wird schnell klar, dass ich Putzdienst habe, weil mein Bruder faul war. Anja sagt das zwar vorsichtig und nett, aber auch unmissverständlich. Naja, ich hab ja eh nichts zu tun. Also mit deutscher Gründlichkeit an diese englische WG. Wenn schon, denn schon. Danach die Einleitung meiner Bachelor-Arbeit überarbeitet und dann ab in die city. Putzzeug einkaufen. Das ist auch WG-Pflicht, daran erinnert der "Duties" Zettel in der Küche. Ich verlasse die tube in Hyde Park Corner und London bricht auf mich herein. Bin ich so provinziell oder ist diese Stadt so weltstädtisch? Ich wusste gar nicht, wieviel Luxusmarken ich kenne. In dem Viertel, durch das ich laufe, begegnen mir alle: Dolce&Gabbana, Armani, Versace, Gucci, Chanel, Boss, Ralph Lauren und 50 mehr. Alle anderen Städte können einpacken. Doch die Geschäfte sind nicht die Hauptsache. Die Hauptsache bin ich. Alleine in den Straßen. Suche die Umgebung mit meinen Augen ab. Fotografiere die Londoner Frauen mit meinen Blicken. Und diese Frauen sind wirklich Fotos wert. Ich überlege, ob ich nicht einfach fotografierend durch die Stadt laufen soll. Diese unglaublich trendigen Ponny-Frisuren, Berlin ist nix dagegen. Berlin ist häßlich und schmuddelt, aber nicht unattraktiv. Auch die Frauen. Aber London... hier tragen die Mädchen strahlend reine Lumpenwäsche. 3 weiße Tops oder eher Männerunterhemden übereinander geknuddelt, eine wild zerschnittene Frisur und einen Blick, der mir meine oberschwäbischen Wurzeln unangenehm schnell klar macht. Ich bin der Beobachter. Ich gehöre nicht dazu. Eine fremde Welt aus Schwarzen, Asiatinnen und Indern strömt um mich. Englische, deutsche und italienische Sprachfetzen flattern durch die Luft. Immer schneller fotografieren meine Augen. Immer mehr Schilder werden gescannt: Steht hier etwas seltsames? Ist eine Capri-Sonne Verpackung in London seltsam? Heißt das bei uns nicht jetzt Capri-Sun? Oder sind sie wieder zun alten Namen zurück, wie die Saltlets auch? Der Hyde-Park ist definitiv das seltsamste, was ich in letzter Zeit erlebt habe. Ich durchquere die Pforten und treffe auf Blicke, dir mir sagen: Du bist einer von uns. Wir gehören nicht nach da draußen, in die Stadt. Hier bist du sicher, wir sind auch genervt von dem Lärm. Es ist ein brummender Lärm, der von dieser Oase (ja, so platt empfinde ich im Moment) erst bewusst wahrnehmbar ist. In einem Liegestuhl beobachte ich Schwäne und spielende Kinder. Ganze Familien fliehen in den Hyde-Park. Und ich bin allein. Es tut gut allein zu sein. Alleine zu denken. Den Wind in den Haaren bewusst wahrzunehmen. Doch viel kommt dabei nicht raus. Auch nicht alleine. Ich denke nur mehr, distanziere mich deutlicher. Ein paar Wochen alleine und es könnte was draus werden. Dann fängt das Gehirn an zu spinnen. Dann kommen einem die richtigen Gedanken, da ist die Welt nicht mehr so, wie sie mir alle befehlen wollen. Dann macht man sich seine eigene. Doch momentan wirft mich noch jedes deutsche Auto raus. Und die sind überall und sehr luxuriös. Auch Stretch-Daimler mit Ölscheichchauffeurvisagen drin. Kann man auf die deutsche Automobilindustrie stolz sein? In der WG hören die Surfer-Neuseeländer Cat-Stevens und tragen Rastalocken. Müssen alle Klischees so verdammt wahr sein?
Boutiquen-Tussis
Laut Charlotte, die ja bekanntlich, genauso wie Harald Martenstein und Max Goldt immer Recht hat, fahren die deutschen Touris nach London um aufgetakelte Boutiquen-Tussis auf der Straße herumtanzen zu sehen.
1. Sep, 23:11
coccinella
(link
)
|