letzte Kommentare: / "weil Design keinen... damals / Da sind wir uns... froschfilm / Ich dagegen glaube,... c. fabry | |
20
September
Retro
Schon lange ist es hipp, alte Sachen zu mögen. Die Liebe zu alten Namen geht soweit, dass Kinder wieder "Ilse" heißen. Märklin Metall wird geliebt. Die Politik war früher besser und die Menschen hatten Stil, trugen Hüte und waren echte Agenten in fernen Ländern. Heute sind ferne Länder nah und viel zu Reisen ist kein Privileg, sondern anstrengend.
Ich kann den Retro-Trend verstehen, aber er geht mir zu weit. Neues ist doch immer interessanter als Altes! Mit dieser langweiligen These komme ich mir schon fast dumpf und ungebildet vor, soweit geht die Diktatur der Oma-Kleidung. Ich will mich aber nicht schämen für mein Interesse an neuem, so sehr ich den gebildeten Tonangebern auch sonst hinterheräffe. Update: Wer sehen will, was ich meine, sehe sich Charlotte Roches Frisur hier an.
Neues ist doch immer interessanter als altes!
Wie bitte? Das stimmt doch genausowenig wie das Gegenteil. Ich denke, die Kunst liegt darin, interessantes (und wenn wir von der Warenwelt reden: Gutes) zu erkennen unbeeinflusst davon, ob es alt oder neu ist. Ehrlich gesagt sind mir Neoisten nicht weniger suspekt als Nostalgiker. Mich verwundert stets die Begeisterung meines Vaters für Technik, die ich völlig ablehne. Videoformate, Digitalfernsehen, Multimediafestplatten. Ich lese ja sehr gern Bücher.
(Dafür könnte ich stundenlang über moderne Verbrennungsmotoren reden. Man kann eben nicht überall dabei sein. Und ich finde es sehr schön und sehr beruhigend, nicht überall mitrennen zu müssen, sondern bewußt stehenbleiben zu können.) Oh, ich werde wahr- und ernstgenommen! Also:
Neues ist natürlich nur ceteris paribus interessanter als Altes, um hier mal wissenschaftstheoretischen Jargon zu gebrauchen. Natürlich kann Neues auch langweilig sein, aber das kann Altes ebenso. Man muss auch nicht überall mitrennen, wenn man diesem Satz zustimmt, man kann sich z.B. so manchem Retro-Trend verweigern.
21. Sep, 11:23
froschfilm
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Vielleicht sollte man wenn es um "Neues" geht auch unterscheiden zwischen Neuigkeiten (im Sinne von News) und Novitäten aus der Welt der Waren und Dienstleistungen. Leider muss ich sagen, dass mich der Journalismus mit dem meisten, was er so alles für newsworthy hält, entsetzlich langweilt. Wenn es um die Warenwelt geht, neige in der Tat dazu, das Neue zwar grundsätzlich erst mal interessant zu finden, daraus aber keinen Generalverdacht abzuleiten, dass das Neue dem Alten oder Bisherigen eo ipso überlegen wäre. Vielmehr sehe ich das Neue in der Beweispflicht, sein Bessersein glaubhaft nachzuweisen oder mich ansonsten in Ruhe zu lassen.
Sind die Retro-Trends in Ihrer Wahrnehmung denn so mächtig und umfassend, dass man sich denen mit pathetischer Widerstandsgeste verweigern müsste? Ja, es geht um Waren und nicht um News. Und ja, ich halte eine Widerstandsgeste für geboten - nicht weil Retro zu Massenphänomen würde, sondern weil die stilangebenden Intellektuellen nichts anderes mehr kennen. Die Uniformität der Gegenbewegung, diese selbstauferlegte Beschränktheit (oder einfach: Gruppendynamik) ärgert mich (und noch mehr ärgert sie Coccinella!).
22. Sep, 11:14
froschfilm
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Huch,
Ihre Antwort führt mir erschreckend deutlich vor Augen, wie wenig meine Frau und ich auf Tuchfühlung mit stil- und tonangebenden Intellektuellenmilieus zu sein scheinen (und dabei kennen wir auch keine Leute mit großen Flachbildfernsehern). In unseren Kreisen, nennen wir es mal das Wirtschaftsjournalisten- und Werbeplaner-Milieu, oder genausogut bei anderen Eltern von Kindergartenkindern oder dem kleinen Teil der Nachbarschaft, in den wir ein bisschen Einblick haben, da ist vom Gruppendruck in diese Richtung wenig zu spüren. Was nicht heißt, dass alle ganz frei wären von Retro-Anwandlungen, Manufaktum-Kaufräuschen oder Flohmarkt-Begeisterung, aber generell herrscht da eher die (auch nicht immer angenehme) Attitüde: Wir machen die Trends, aber wir unterwerfen uns ihnen nicht. Das führt um die Ecke zwar auch wieder zu ganz lustigem und unreflektiertem Konformismus - lässt aber Widerstandsgesten (die mir andernfalls auch sehr wichtig wären) irgendwie ins Leere laufen.
Bei den professionellen Trendmachern wird's kompliziert. Da wird ja alles Meta. Die Retrofraktion denkt aber vermutlich von sich selbst, sie wäre nicht von Trendmachern erfunden und dem darf man schon was entgegensetzen.
23. Sep, 14:56
froschfilm
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Ja,
in dem Fall darf man nicht nur - da wird Widerstand geradezu Pflicht. ;-)
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