letzte Kommentare: / Träume sind... froschfilm / Eine naive Vorstellung... pelicola delle rane / Die gehen nur langsamer... texas-jim


23
November
Außenansicht
Der Osten hat mich immer interessiert, aber kaum gereizt. Jetzt war ich in Warschau und weiß warum: Es ist da genau so, wie man sich's vorstellt: Ostgammel. Im Gegensatz zu Südgammel ist der einfach nicht schön. Plattenbauten en masse, unrenoviert. Ein sozialistisches Prunkgebäude von Stalin, das niemand will. Ansonsten strukturlose Flächen. Alles so, wie Post-Kommunismus aussehen muss. Ähnliches gilt für die Sprache: Wo Italienisch fast schon penetrant süßlich klingt, ist Polnisch ein nuschelndes Gemurmel, allerdings mit erstaunlichem Spektrum (Hören Sie mal einen Polen zögern!). Insgesamt nicht ganz so hart wie man vermutet, aber eben auch nicht gerade schön. Ein paar weitere Klischees bestätigen sich schon auf der Hinfahrt: Im Bus werden in einem ausführlichen Video sämtliche Diebstahlvarianten erklärt; danach folgt eine amerikanische Romanze, die von einem Mann in gelangweilten Nachrichtensprechertonfall polnisch übersprochen wird. Das machen die Polen immer so. Egal wie heiß es in einem Film zugeht, der Mann bleibt nüchtern und klingt, als würde er Untertitel für Gehörlose ablesen.
Warschau ist voller Gedenkstätten. Wenn sich Deutsche richtig schlecht fühlen wollen, gehen sie nach Warschau.
Ein entsprechendes Bild haben die heutigen polnischen Kinder dann auch von uns:



In den Museen gibt's, außer solchen Kinderzeichnungen, die üblichen Faktensammlungen und Glorifizierungen des Warschauer Aufstands. Außerdem muss man in Löcher gucken, wenn man etwas wissen will. Vor den Löchern gibt es Gedränge, also liest man eben nicht. Moderne Museen habe ich nie verstanden: Warum sagen die (und auch Reiseführer) nie das, was mich interessiert, sondern bauen Schubladen und Gimmicks auf?
Beeindruckend war aber die Dunkelheit und der Nebel. Dunkel war es schon ab halb vier und ein schicker Großstadtnebel greift sich den Kopf des Stalinbaus und lässt die Bösewichter darin ihren Stil genießen:

 
Gruß aus Warschau
Meiner Meinung nach ist Polen nicht genau so wie viele Deutschen es sich vorstellen, sondern viel moderner. Warschau ist hektisch-aufstrebend und hat darum im Gegensatz zum arbeitslosen Ostdeutschland keine Zeit, sich mit Wohnblocksanierungen aufzuhalten. Man stellt die neuen Gebäude halt daneben, es ist ja genug Platz. Hier kann man nicht wie in der Schweiz vom steril gewienerten Gehweg essen, hier ergießen sich auch keine aggressiv bunt leuchtenden Blumen aus jedem Fenster mit ausgesägtem Herzchen im Fensterladen. Man pflegt hier, wie in den meisten Teilen der Welt, einen pragmatischeren Umgang mit seiner Umgebung. Für uns Süddeutsche mag es deshalb anderswo manchmal gammelig erscheinen. Warum uns der Südgammel in Italien und Spanien schön vorkommt, der Ostgammel in Polen oder der Westgammel im Ruhrpott aber nicht, liegt ausschließlich am Wetter.
Fleckenweise ist es natürlich extrem modern, aber das erwartet man nach Jahren voller Reportagen über den Boom im Osten, oder?
 
 
 
Innenansicht
Wenn mich etwas nicht reizt, interessiert es mich auch nicht sonderlich. Erster logischer Fehler. Und ich kann mir nicht vorstellen, warum man in eine fremde Stand fahren muss, um dann zu sagen:"Ah, ist klar, ich wusste ja schon vorher, dass es Scheiße wird" und der Fremde durch so eine Voreingenommenheit keine Chance gibt. (Fahr doch nach Mallorca) Oder sich selber keine Chance gibt, sich mit dem Unbekannten auseinaderzusetzen. Das zeugt nicht von Aufgeschlossenheit, eher von verbohrter Arroganz.
Zum Kulturpalast ist zu sagen, dass es inzwischen eine Art Wahrzeichen geworden ist (siehe auch Palast der Republik in Berlin), und ob man sich jetzt damit identifizieren soll oder lieber mit dem Hamburger Nuttenstrich...
Über subjektive Meinungen zu östlichen Sprachen muss ich mich hier nicht äußern (wieso findet man die Schweizer und Holländer eigentlich charmant?)
Zum Film im Bus wäre zu sagen, dass die Polen, wie auch die meisten Staaten außer, z. B. Deutschland, ihre Filme nicht synchronisieren (außer Kinderfilme) und da man die Untertitel auf kleinen Fernsehern schlecht lesen kann, wird drübergesprochen. Schlecht für den, der kein Polnisch kann, der Rest blendet die drübergelegte Stimme aus dem Bewusstsein und verbindet sie mit der im Hintergrund zu hörenden Originalstimme. Polen lachen sich kaputt, wenn sie die amerikanischen Schauspieler in Deutschland mit total unpassenden Stimmen reden hören.
Die beschriebene Meinung über moderne Kunst (die sich in Polen ja so sehr vom Rest der Welt unterscheidet) ist eines Kommentares nicht wert. Wahrscheinlich hätte der Autor am liebsten klare, verständliche Bilder mit schönen Frauen und männlichen Männern in Pastell. (Schon mal von ner Ausstellung in München gehört, Ende der 30er Jahre des 20. Jh.? War ein Riesenhit, da wurden so "Kinderzeichnungen" auch an den Pranger gestellt und im nachhinein gerne verbrannt).

Wenn schon Graffitti in der Argumentation herangezogen werden muss, kann man in unseren Städten genauso schöne Sachen finden, so nach Art von "Türken raus" und das ist noch milde.

Frage mich sowieso, ob das was ich hier schreibe was bringt. Wenn jemand in seiner Meinung so festgefahren ist "...im Gegensatz zu Südgammel ist der einfach nicht schön..." Reisen bildet? Nur wenn man dafür offen ist. Sonst kann man gleich zu Hause bleiben und seine Vorurteile pflegen.
Ich frage mich ernsthaft, ob ich einen derart aggressiven Kommentar dulden muss. Da ich einfach zu nett bin, lasse ich ihn stehen und antworte sogar:
1. „Reizen“ und „Interessieren“ unterscheiden sich. Interesse geht vom Intellekt aus, Reiz von den Sinnen. Genau so war's gemeint.
2. Warschau war nicht scheiße. Ich gebe zu, das hört man meinem Beitrag nicht an. Allerdings sage ich dort auch mit keinem Wort, dass es scheiße war. Es war interessant, aber nicht schön. Dabei bleibe ich. Das darf ich auch sagen, ohne mich vor irgendjemand verteidigen zu müssen. Vorurteile auf Reisen zu pflegen gehört zum Besten am Reisen. Mit völliger Offenheit kann man überhaupt nichts wahrnehmen, nur durch den Vergleich mit Bekanntem. Natürlich werde ich gerne vom Gegenteil überrascht und einzelne Menschen darf man selbstverständlich nie in ein Vorurteil pressen. Solche Banalitäten setze ich bei meinen Lesern voraus.
3. Subjektive Meinungen zu Sprachen sind ebenfalls erlaubt. Glauben sie denn, in blogs dürfte nur die reine objektive Wahrheit verkündet werden? Wie sollten dann ästhetische Urteile möglich sein?
4. Zur Filmsynchronisation: Ich habe von den Originalstimmen kein Wort verstanden. Ansonsten hätte ich mich nicht beklagt. Andere Länder können anscheinend sehr gut mit Untertiteln leben und fördern dadurch die Lesekompetenz ihrer Kinder.
5. Zu den Kinderzeichnungen: Ich habe kein Wort über polnische moderne Kunst verloren. Ich fand ausschließlich die Zeichnungen von Soldaten mit "Deutschland" als Untertitel bemerkenswert. Ihre Unterstellungen sind beleidigend.

Mein Gott, das sind ja Kommentare wie im heise-Forum. Ich hätte mehr Größe zeigen sollen und nicht antworten dürfen. Verdammter Glaube an die Möglichkeit von Diskussionen, der mich zum Kleingeist macht.
 
 
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