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15
Januar
Grenzen
Analytisch ist heute der Teil der Philosophie, der sich weigert die Erkenntnisse der letzten dreißig Jahre zu akzeptieren.

 
Beispiel!
Nix Großartiges: Die Wissenschaftstheorie. Ringt immer noch nach Wahrheit und schafft es nicht, es sei denn sie ist postmodern. Mein Lieblingsausweg: Reiner Instrumentalismus, der Tod jeder Philosophie.
 
Nee, kein Beispiel für eine gescheiterte Sparte. Gescheitert sind alle jederzeit. Ein Beispiel für 'ne Erkenntnis der letzten 30 Jahre wollte ich haben!
 
Ich zweifle ja auch daran, ob die Behauptung "alles sind Konstrukte, Wahrheit ist relativ" eine Erkenntnis ist. Die moderneren Texte in der Wissenschaftstheorie, die solche Positionen kennen, verstricken sich jedenfalls häufig beim Versuch, sich aus der Wahrheitsfalle herauszuwinden, in Widersprüche. Beispiel: Sugden, R. (2000): “Credible worlds: the status of theoretical models in economics”, in: Journal of Economic Methodology 7(1), pp. 1-31.
 
Selbstverständlich ist das keine Erkenntnis, und schon gar keine der letzten 30 Jahre.

"Menschen leben länger mit Airbag" ist eine Erkenntnis der letzten 30 Jahre. Alle Versuche, die Wahrheit dieser Aussage durch den Verweis auf die Menschendefinition eines hypothetischen Tattergreises, der auch Eichhörnchen für Menschen hält, zu bestreiten, gebe ich hiermit der Lächerlichkeit preis.

Daß die philosophische Folklore jedesmal, wenn ihr irgendwo jemand einen Fehler nachweist, zum Beispiel ein konstruiertes Hirngespinst, das Kind mit dem Bade auskippt und wie ein verbrühtes Waschweib die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und krakeelend im Kreis rennt und die Wahrheit für -- oh Scheiße! -- relativ erklärt, ist mir ein Rätsel. Auch, was sie damit eigentlich sagen will.

Den Grad der Konstruiertheit der Begriffe kann man ziemlich genau ermitteln, wenn man sich klug anstellt und in der Geschichte auskennt. Die Gründung der Grundbegriffe im Leben ist klar und beliebig, aber irgendwie muß man ja reden. Wer sie unbedingt dekonstruieren muß, darf das gerne machen und kriegt auch ein Schokobon, darf aber erst wieder mitspielen, wenn er sagt, wozu's gut ist.

Die vermeintliche Relativität der Wahrheit (ich habe selbst nur eine vage Ahnung, was dieser Terminus bedeutet) ist ein rein philosophisches Problem. Die Benchmarks für Wahrheiten in Naturwissenschaften sind klar definiert, die für Geisteswissenschaften im Reich der Gnade und der Schönheit aufgehoben, zumindest, wo es keine Empirie gibt. Daß ein gutes philosophisches Argument nicht ohne erkenntnistheoretische Vorsicht auskommt und sich auf Begriffe stützen sollte, die in fremde Jargons übersetzbar sind, ist weder überraschend noch dramatisch.

Zu Sugden:
"Using as examples Akerlof's 'market for ''lemons''' and Schelling's 'checkerboard' model of racial segregation, this paper asks how economists' abstract theoretical models can explain features of the real world. It argues that such models are not abstractions from, or simplifications of, the real world. They describe counterfactual worlds which the modeller has constructed. The gap between model world and real world can be filled only by inductive inference, and we can have more confidence in such inferences, the more credible the model is as an account of what could have been true."

Wenn das Paper hält, was das Abstract verspricht, kommt mir das berückend naiv vor. Der Welt zu enthüllen, daß Modelle unvollständig sind, und als Lösung vorzuschlagen, glaubwürdige Modelle zu bauen, das ist schon ein starkes Stück Nachgedachthabens. Der skeptische Einwand ist natürlich: Was zum Teufel soll the "real world" eigentlich sein, wenn Ihr uns schon so kommt? Und der erkenntnistheoretisch gefestigte Einwand mault: Ein Modell ist ein Modell, ein gutes Modell macht richtige Vorhersagen und wird von allen Beteiligten verstanden, und wer noch was besseres braucht, wird wohl im Koran nachlesen müssen -- oder was genau wünscht er sich eigentlich noch?

Kurz: Ich versteh die Leute nicht. Was haben sie denn immer mit ihrer Wahrheit für ein Problem?
 
Deshalb eben Instrumentalismus nach Friedman (1952): The Methodology of Positive Economics. Der von Philosophen meistgehasste Aufsatz braucht keine Wahrheit und schon gar keine wahren Annahmen. Dennoch gibt's harte Kriterien: Kann man mit einem Modell/einer Theorie brauchbar Vorraussagen machen, die Probleme lösen? Mir kam das Sugden Paper (und andere analytische Papers) auch naiv vor, daher ja mein Eintrag, die analytische Philosophie weigere sich, "Erkenntnisse" der letzten 30 Jahre zu akzeptieren. Dieses implizite Lob der Postmoderne ziehe ich jetzt zurück und sage: Die analytische Philosophie ist immer noch sehr klug (auch Sugden!), aber anscheinend auch immer noch genauso naiv wie der Wiener Kreis es war. Schade! Denn so macht sie sich berechtigt angreifbar und überlässt dem Schwallhalla das Feld.
 
Ja, aber, wirklich: "braucht keine Wahrheit". Was sagst Du da? Was braucht Friedman nicht?

Das Problem Sugdens ist (nach der Darstellung von dritter Hand, die ich im Netz gefunden habe, jedenfalls) nicht, daß er irgend etwas, was jetzt ganz heiß herausgefunden worden wäre, zur Kenntnis nimmt und deswegen schwimmen ihm die Felle weg, sondern es ist ganz klassischer (und ziemlich unverzeihlicher) erkenntnistheoretischer Leichtsinn, und den gibt's spätestens seit dem 18. Jahrhundert.

Daß die analytische Philosophie dieses Problem heute insgesamt teile, halte ich doch für eine ziemlich gewagte Aussage. Sie arbeitet ja, mit beispielsweise Davidson und McDowell, auf ziemlich hohem Niveau an genau diesen Problemen. (Und dann gibt's noch die Funktionalisten und die klassischen Positivisten, etc.)

Ein ökonomisches Modell ist nicht das Wort Gottes -- meine Güte. So ist das nunmal. Es ist im besten Fall ein raffiniert konstruiertes Vorhersageinstrument für ein extrem komplexes System. (Und zwar genau das -- Aussagen über Systemteile, also Akteure etc, müssen eigentlich prinzipiell unterbleiben.) Was könnte man denn sinnvoll mehr wollen?
 
Für Friedman ist Wahrheit egal. Was zählt ist Vorhersage zur Lösung bestimmter Probleme. Das Problem damit ist nun wieder: Woher können wir wissen, ob unsere Vorhersagen sinnvoll sind, wenn wir den Problembereich ein bisschen verschieben oder die Theorie auf ein anderes Beispiel anwenden. Friedman will ja sogar falsche Annahmen, "je falscher die Annahmen, desto signifikanter die Theorie", sagt er. Und provoziert damit noch nach über 50 Jahren.

Was die analytische Philosophie angeht, so ziehe ich auch diese Behauptung zurück. (Und möchte noch David Lewis als genialen analytischen Erkenntnistheoretiker hinzufügen.) Damit gilt meine Behauptung nur noch für Wissenschaftstheoretiker der Ökonomie. Wird Zeit, da aufzuräumen. Oder eben eine Ökonomik der Erkenntnistheorie einzuführen. Schöne Projekte für die Zukunft.

[Dass es die Positivisten immer noch gibt - und eben vornehmlich unter analytischen Philosophen - könnte ich zur Rettung meiner These anführen. Allerdings liegt mir nicht mehr so viel an Rettung meiner Thesen. Besonders nicht an dieser.]

Nachtrag:
Was mich eigentlich an dem Sugden paper stutzig gemacht hat: Gibt es überhaupt Annahmen, die keine Vereinfachungen der "Wirklichkeit", sondern völlige "counterfactuals" sind? Eigentlich muss man doch behaupten, dass ein Modell /irgendwas/ mit der "Wirklichkeit" zu tun hat, wenn man nicht völlig zufällige statistische Zusammenhänge finden will. Die "counterfactuals" (z.B. dass wir nicht auf einem Schachbrett leben), wären also doch Vereinfachungen der Wirklichkeit, von denen man behaupten muss, dass sie das zentrale Ergebnis nicht stören. Die "counterfactuals" sind also nur Annahmen, dass (auch absurde) Vereinfachungen nicht stören.
Da wären wir also wieder bei so einer unscharfen Grenze: Was ist vereinfachend, was ist falsch? Sugden zieht die Grenze und macht sich's schwer. Ich sage: Nichts ist falsch, es kommt auf die Ergebnisse an. Und bin schon wieder bei Friedman.
 
 
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